WG121 – Briefentwurf an Alma Mahler
Berlin, Mittwoch, 15. oder Donnerstag, 16. Februar 1911
Du entziehst Dich mir un-
merklich immer mehr
aber ich darf Dich nicht ver-
lieren
Fotos! ! ! ! ! !
es hat mir an Sammlung
dafür gefehlt
Entweder hast Du seit Mo-
naten keinen Brief von mir
geholt oder Du liest sie nicht.
Ich habe den Eindruck, daß
Du mich los sein willst, daß
ich Dir zur Last bin, daß Du
Dein ausgefülltes Leben
hast und mich nicht mehr
„brauchst“ wie Du einst glaubtest.
Ich bitte Dich, daß Du mir
klaren Wein einschenkst u
Offenheit gegen Offenheit
giebst. Du wirfst mir
alle paar Wochen
ein Bröckchen hin, aber
ich brauche mehr, ich
kann mich nicht
damit begnügen. Du
mußt fühlen, daß soviel
Innerlichkeit, wie ich sie
Dir gebe einen Gegenpol
verlangt.
Nun ich verstehe ja zw.[ischen]
den Zeilen zu lesen. Ihr
bleibt wirklich ein Jahr noch
drüben. mit den 14 Tagen
Monte Carlo willst Du mir
Hoffnung machen, aber
Du hast glaubst
Lido, Monte Carlo, der Name
ist ja ganz gleichgültig
Verzeih! aber ist es nicht
falsch dem anderen Hoff-
nungen zu machen auf
irgend etwas das man
doch nicht halten wird
ist es nicht viel besser
alles einfach und offen
zu sagen, wenn es auch
für beide Teile hart ist.
Dieses Verschleiern, wie
Du es jetzt tust, ist
nicht recht, meine ,
Du vergehst Dich damit
an mir, es kommt
mir wie eine zu kleine
Auffassung meiner Per-
son vor und das
verletzt.
Wenn ich Dich nicht
so kannte und so
grenzenlos an Dich glaubte,
Es kommt mir immer
so vor als wäre da
noch irgend ein grauen-
volles etwas
Das [!] Du unter dieser
neuen Trennung nicht
zu leiden scheinst giebt
mir zu denken, oder
wenn Du leidest, warum
sagst Du mir nichts
davon. Du vergiebst Dir
nichts damit.
Du nimmst mir
die Möglichkeit, Dich
weiter zu verstehen
Nirgends ist \schlägst Du/ eine Brücke,
und kommst nicht
auf die, die ich Dir
baue.
Er würde es ja nie
und nimmer zu lassen,
daß Du allein nach
Deutschland fährst, da er
nur Deinetwegen dort
bleibt, er ist klug,
ich fürchte u bewundere
seine Klugheit. Es ist
vielleicht auch besser so,
wenn mir auch der
kalte Schweiß ausbricht
während ich dies schreibe
daß Du nicht kommst,
denn es ist mir ganz
klar geworden, daß ich
zu Lebzeiten aus
Gründen der Ehre und
Noblesse Dich ihm nicht
fortnehmen darf.
Ich bitte Dich nochmals
schreibe mir nicht solche
kalten geschäftsmäßigen
Briefe, sie bereiten mehr
Weh als Freude, schreibe
nur, wenn Du mir
wirklich etwas zu sa-
gen hast
an meinem Empfinden
kann das natürlich
alles nichts ändern
Wie anders wärest
Du wenn Du ein Kind
von mir unterm Herzen
trügest
Ich baue ein ganzes
Heer von Gründen und
Entschuldigungen u Erklärungen
auf, die meinen Glauben
an Dich stützen.
Kind. Habe mir die ganzen
Konsequenzen und Eventualitäten
bei einem solchen Schritt über-
legt. Es würden so unwürdige
Situationen für Dich und
mich dabei entstehen,
Apparat
Überlieferung
, , , , , , , , , .
Quellenbeschreibung
5 Bl. (5 b. S.) – Notizblock.
Druck
Erstveröffentlichung.
Korrespondenzstellen
Antwort auf AM58 vom 7. Februar 1911 (G.[ustav] wird vielleicht etwas länger hier bleiben. – Ich würde dann alleine hinüber gehen – und 14 Tage nach Monte Carlo gehen): mit den 14 Tagen Monte Carlo willst Du mir Hoffnung machen […] Er würde es ja nie und nimmer zu lassen, daß Du allein nach Deutschland fährst, da er nur Deinetwegen dort bleibt, er ist klug.
Datierung
Die Korrespondenzstelle gibt Aufschluss über die Datierung von WG122. Bei einer Postlaufzeit von 8 bis 13 Tagen musste AM58 zwischen dem 15. und 20. Februar 1911 bei ihm eingetroffen sein. Am 19. Februar starb WGs und WG teilte diesen Verlust in seinen Briefen mit (s. WG124 und WG125). Da in diesem Entwurf noch keine Rede vom Tod des ist, muss angenommen werden, dass WG ihn vor dem 19. Februar verfasste. Tatsächlich ist in WGs Liste abgeschickter Briefe am 16. Februar die Nr. 24 aufgelistet, in die dieser Entwurf eingeflossen sein dürfte, weshalb als Datierung der 15. oder 16. Februar 1910 angenommen wird.
Übertragung/Mitarbeit
(Tim Reichert)
Fotos! ! ! ! ! ! – hatte in AM57 vom 18. Januar 1911 versprochen, in ihrem nächsten Brief Porträtfotos beizulegen. Tatsächlich finden sich im Nachlass von zwei Porträts von des New Yorker Fotoateliers ( Inv.-Nr. 2006_114.13 und 2006_114.14), jedoch lässt sich nicht nachweisen, wann sie erhielt. Der Umschlag ihres nächsten Briefes (AM58 vom 7. Februar 1911) ist jedenfalls für die entsprechenden Aufnahmen zu klein.
Kind […] entstehen, – in Tinte.